Vor ein paar Wochen besuchte uns Frank Bick von den
Motorradphilosophen.
Nach einer kurzen Kennenlernphase mit Bier und Wurst ging es
auch schon los…
Es wurde viel Fotografiert, geredet, getüftelt und gelacht.
Was dabei heraus kam könnt ihr hier lesen.
Wir sind stolz auf so einen gelungenen fetten Bericht.
Danke Frank für den coolen Beitrag....
Quelle:http://www.motorradphilosophen.de/zweiprozenter-custom-cycle-crew-wickede-customizing.html
Custom Cycle Crew Wickede
"Werte des Customizing bewahren und verbreiten"
Ein Custombike ist so etwas wie ein maßgeschneidertes Bike. Der Besitzer lässt sich ein Motorrad nach eigenen Wünschen anfertigen oder baut im besten Falle selbst ein Fahrzeug um. Nur wenn das Fahrzeug erhebliche Änderungen vorweist oder sogar ein Themenbike ist, kann von einem Custombike gesprochen werden.Die Geschichte der Custombikes beginnt wohl etwa 1948 in Kalifornien als erste Chopper umgebaut wurden, es folgten Café Racer, Bobber, Board Tracker, Streetfighter, Dragster, Bagger und die gerade wieder aktuellen Scrambler. Blickt man die gesamte Entwicklungsgeschichte zurück so kann man feststellen dass Custombikes in erste Linie nicht als Kunstwerke geplant und gefertigt wurden, sondern je nach Bauweise in ihrem speziellen Bereich zum Einsatz kamen. Breite Reifen halfen bei Beschleunigungsrennen, die Sissy Bar war fürs Mädel oder das Gepäck gedacht, mit den Bobbern, Café Racern und den Streetfightern wurde sportlicher gefahren und Scrambler kamen ernsthaft im Gelände zum Einsatz. Mit der technischen Entwicklung, der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft, dem kontinuierlichen Zeitmangel, dem gewachsenen Sicherheitsbewusstsein und der durch großen allgemein üblichen Komfort und modernste Pädagogik gewachsenen körperlichen und geistigen Verweichlichung wandelte sich das raue und unbequeme Motorrad vom Gebrauchsgegenstand über das Sportgerät bis hin zum reinen Statussymbol ohne weitere Funktion, dass Custombike sogar zum vermeintlichen Kunstobjekt. Die Fahrtüchtigkeit wurde skurrilen optischen Erscheinungsmerkmalen geopfert. Die Hersteller von Lackierungen, die Zeichner von Linien, die Schmiede von Blechen und viele weitere am Prozess beteiligte Handwerker bezeichneten sich zunehmend als Künstler. Auch alle diejenigen die diese Objekte ablichteten, veröffentlichten, auf T-Shirts bannten, auf Kartons druckten und so weiter fügten in ihre Titel auch gleich die Silbe ART ein. Betrachtet man diese Szene dann von außen als nicht vom Custombike Virus infizierter Motorradfahrer so kommen diese Gruppierungen einem vor wie kommerzielle Kommunen, aber nicht wie Gruppen von Menschen die ihre Mobilität über ein Motorrad verwirklichen wollen. Das zentrale Moment der Kunst aber ist in (m)einer Definition eine allgemeingültige Botschaft öffentlichen Interesses, also etwa politische, soziale oder ethische Ziele bekannt und vielen Menschen begreifbar zu machen. Die ersten Umbauten hatten diese Ziele auch noch innewohnen, denn sie waren Ausdruck der Rebellion gegen eine absolut spießige Gesellschaft und alle Fahrer waren Multiplikatoren dieser Botschaft. Die Fahrt mit den Fahrzeugen hat die Botschaft der Gleichheit und Freiheit dann in die entlegensten Winkel der Nationen getragen. Noch heute verbinden wir daher das Chopperduo im Kultstreifen Easy Rider mit weitaus mehr als zwei umgebauten Motorrädern die lange Gabeln haben, eine Flames Lackierung vorweisen und schön blubbern. Die Botschaft und ihr Überdauern zeigen auf, dass es sich um richtige Kunst gehandelt hat. Oder um es einmal mit Goethe zu sagen „Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang“.
Was wir heute allerorts beobachten können ist folglich keine Kunst, sondern Mode. Das Wesen der Mode ist diametral zur Kunst der Wunsch nichts für längere Zeit und schon gar nicht für die Ewigkeit zu schaffen, denn einziges Ziel ist der stetige Verkauf. Mode trennt uns voneinander, teilt uns über optische Anzeichen in Ungleiche auf. Schon Freidenker Friedrich Schiller spricht in der von Beethoven vertonten und zum Weltkulturerbe und Europahymne ernannten 9. Symphonie „Ode an die Freude“ von den negativen Auswirkungen der Mode. Er spricht von der Lebensfreude durch Freundschaft und Partnerschaft, deren Zauber wieder bindet was die Mode streng geteilt. Gibt es bei all diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und der umfangreichen Kommerzialisierung überhaupt noch die Möglichkeit die tradierten Werte und Inhalte des Customizing zu leben und zu bewahren?
Zur Bewahrung von Werten haben wir in Deutschland die Institution des eingetragenen Vereins. Man denkt bei solchen Vereinen schnell an etwas Spießiges wie z.B. Schützen- oder Karnevalsvereine. Aber selbst diese Einrichtungen dürfen nicht zu negativ bewertet werden, tragen sie doch in Kommunen zu einem gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl bei. Auch Naturschutz- und Tierschutzvereine sind häufig anzutreffen, dort geht es um den Erhalt der Natur. Wohl eher selten ist der eingetragene Verein im Bereich der Custombikes, aber es gibt so etwas. Die Custom Cycle Crew in Wickede ist genau so ein Verein. Sie arbeiten derzeit mit 8 Mitgliedern daran, die Werte des Custombike bauen und fahren zu erhalten und über ihre Garage und Publikationen zu verbreiten. Wie kann so ein Unterfangen funktionieren?
Die Mitglieder der Custom Cycle Crew teilen sich eine große Garage, zudem haben zwei Mitglieder große Garagen etwas außerhalb von Wickede. Das Konzept der Custom Cycle Crew ist einfach. Es gibt keine bevorzugte Marke, keine bevorzugte Kleidung, keinen bevorzugten Stil. Sie sind kein MC, tragen keine Kutten, sind gegen Gewalt und ihre Garage steht jedem offen der sich für Custombikes interessiert. Offenheit ist überhaupt die große Stärke der Gemeinschaft. Die gemeinsame große Garage hat zwar eine Theke um ein genüssliches Bier zu trinken, aber im Gegensatz zu Clubhäusern steht hier ganz klar die Schrauberei an Motorrädern im Vordergrund. Und das was hier gebaut wird kann sich sehen lassen, landet in der Custombike, Easyriders usw. oder erhält den einen oder anderen Pokal auf gemeinsam angefahrenen Veranstaltungen. Die Garage ist eigentlich eine große Halle ohne Trennwände. In 7 offenen Nischen und einem zentralen Werkstattraum in dem geschliffen und geschweißt wird, werden die Bikes unter den Augen aller gebaut. Und genau das macht das besondere Flair der Halle aus. Jeder kann jeden beim schrauben sehen, kann an alles dran was dem anderen gehört. Jeder kennt die Eigenarten und Macken der anderen, wie bei einer großen Familie. Und wie bei einer Familie unterstützt man sich gegenseitig und natürlich beeinflusst man sich gegenseitig beim Bau von Custombikes. Die ganze Kreativität und Unterschiedlichkeit der Mitglieder fließt in die Gemeinschaft die dadurch ein ungeheures gestalterisches Potential entwickelt, welches aber die Individualität des Einzelnen stützt und so sogar erst ermöglicht, und auch Freiheit ermöglicht, denn finanzielle, handwerkliche und mentale Ressourcen werden so auf viele Schultern geladen. Vollkommen im Gegensatz zu MCs wo sich die Mitglieder einer Satzung unterordnen und unfrei, ja wie geklont wirken und vorgegebenen Zielen folgen, oder die derzeit wie uniformiert wirkenden bärtigen Jeanswesten tragenden Biker die dem Diktat der Mode hinterher rennen. Teil der Offenheit bei der Custom Cycle Crew ist zudem die Beteiligung der Ehefrauen, Freundinnen, Kinder und Hunde. Sie kommen alle auch zur Garage, sind offen für die Vorgänge und unterstützen den Verein.
Bei der Custom Cycle Crew handelt es sich um Männer die bis auf ihre Leidenschaft für Custombikes nicht zu viele Gemeinsamkeiten aufweisen. An zweiter Stelle steht da sicher ein gepflegtes Bier und Benzingespräche. Der Verein wurde vor 7 Jahren gegründet, einige Mitglieder schrauben aber schon seit 24 Jahren miteinander. Der 1. Vorsitzende Helle ist einer der alten Hasen. Er fährt eine Kawasaki W 650 von 2000. Beruflich verdingt er sich beim Bau von Rollstühlen. Er will nicht zu viel Geld ins Bike stecken und versucht daher in kleinen Schritten seinem Ziel einen schönen 70er Jahre Chopper zu fahren näher zu kommen. Christian ist seit der Gründung vor 7 Jahren dabei. Er hatte davor einen schweren Sturz mit dem Motorrad, ein steifes Knie und absolutes Glück immer noch Mopped fahren zu können. Der Ausbilder für Schweißtechnik fährt seine Yamaha XS 650 etwa 5.000km im Jahr, baut gerade an einem zweiten Bike. Es entwickelt sich beim Bauen meint er, aber übergeordnetes Ziel ist der Frisco Style. Tom gehört zum Kreis der Männer die seit 24 Jahren zusammen schraubt. Der Kassenwart des Vereins ist Orthopädietechnikermeister und hat vor allem Freude am Fahren. Er ist überhaupt nicht festgelegt, mag Geländemaschinen, Streetfighter und Chopper gleichermaßen. Im Moment fährt er etwa 5.000km im Jahr auf einer 2000er Kawasaki Z 750 die er im 80er Jahre Streetfighter Stil aufgebaut hat. Matze ist erst seit 2 Jahren dabei. Der Mediengestalter kümmert sich um die Blogseite der Crew und fährt seine 6.000km auf dem Rücken einer 1953er Triumph im Starrahmen. Auch er mag den Frisco Style. Bei ihm fängt alles mit einer groben Zeichnung an. Wichtig ist ihm das er so viel wie möglich selbst bauen kann, was aber eigentlich für alle Mitglieder gilt. Ape Andy ist seit 3 Jahren dabei. Mangels Zeit fährt der Berufskraftfahrer nur noch 3.000km im Jahr auf seiner 1982er Yamaha XV 750 SE. Den etwas eigenwillig konzipierten 70er Jahre Stil hat er beim Schrauben entwickelt, viel Zeit darin investiert. Zum Ausgleich ist sein nächstes Projekt eine BMW für seine Frau. Action Andy ist eines der jüngeren Mitglieder, fährt seit jeher Moped, Motorrad und war auch schon MC Mitglied. Er ist Servicetechniker und wird bald seinen Kfz-Meister geschafft haben. Er steht auf die psychedelischen Bikes und die Musik von den Doors. An seiner 1973er Ironhead ist nichts mehr wie es einmal war. Auf dem Chopper mit Starrahmen fährt er zu Treffen und feiert ordentlich mit. Der gerade mal 32 jährige Mann freut sich bei den Treffen auf die Zeit ab 21 Uhr, da beginnt für Ihn der Spaß mit dem wahren Kern. Für Mölle der auch seit der ersten Stunde am Start ist muss es ein Schwedenchopper sein. Er mag die wertigen Bikes, wo alles clean und absolut sauber zusammen gesteckt wurde. Die Pokale in seiner Nische zeugen davon dass er diesem Prinzip immer treu war. Er ist Biker alter Schule der wie viele in seinem Alter mit dem Mofa begonnen hat und danach nie wieder aufhörte Zweiräder zu fahren. Die Truppe begleitet er auf seiner 1979er Honda CB 550 im Digger Style. Nils ist erst seit kurzem dabei. Er betreibt in der Gegend einen Handel mit BMW Zweiventilern, die NB-Kradtechnik (siehe auch nb-kradtechnik.de). Er kommt ursprünglich aus Bochum, hatte aber die Nase voll von der Hektik und Unpersönlichkeit der Stadt. Er war schon zu Jugendzeiten im Rockerclub wie die anderen älteren Mitglieder auch. Da es aber dort nicht mehr ums Motorrad schrauben und fahren ging, kehrte er den Clubs den Rücken zu. Er mag die Mode und den Stil der Psychobilly Szene und fährt am liebsten Motorräder im Stil der 30-40er Jahre, im Moment eine alte Harley-Davidson mit Knucklehead Motor.
Schon die wenigen Zeilen über die Mitglieder der Custom Cycle Crew zeigen, dass gerade in der Gemeinschaft der Schlüssel zur Gestaltung eines aktiven, individuellen und kreativen Bikerlebens liegt. Weitab vom Kommerz und recht unbeeinflusst von modischen Strömungen werden hier die Inhalte und Werte des Customizing zelebriert. Es ist ein absolut stimmiges Konzept des Zusammenseins, das hoffentlich in Zukunft noch viele Nachahmer findet. Vielleicht wird aus der Custom Cycle Crew mal der Dachverband für gemeinnützige Schraubervereinigungen in Deutschland? Wer mag kann die Jungs besuchen, es gibt einen offenen Freitag. Besucht den Blog unter http://custom-cycle-crew.blogspot.de/ da findet Ihr auch gleich die E-Mail Adresse.
Fotografie und Text: Frank Bick 2014